Mehr Wildheit - geht das und was bedeutet es?
Neben den Moden, den es auch für die Gestaltung von Gärten gibt, ist die Forderung nach mehr Wildstauden im Garten entstanden. Dabei gibt es die, die nur einheimische Stauden und Gehölze in einem Garten sehen wollen, da sie der Überzeugung sind, dass nur diese die Biodiversität aufrecht erhalten können. Bei dieser Konzentration auf einheimisch muss als erster einmal definiert werden, was einheimisch eigentlich bedeutet. Gilt einheimisch nur für Deutschland? Gelten die Pflanzen und Bäume als einheimisch, die vor der letzten Eiszeit, nach der letzten Eiszeit oder in der Zeit wuchsen als eine Durchschnittstemperatur herrschte, die von ca. 8000 v.Chr. bis ins 20. Jahrhundert relativ gleichmäßig war?
Wildstauden haben unbestritten einen riesengroßen Vorteil, weil sie Teil eines funktionierenden Ökosystems sind. Tiere und Pflanzen sind aufeinander angewiesen und können nur miteinander erfolgreich existieren. Deshalb ist es so ungeheuer wichtig Naturräume zu erhalten oder verlorene wiederzubeleben! Wir verstehen nur zum Teil wie komplex die Ökosysteme sind und welcher Schaden durch einen wegfallenden Baustein angerichtet wird. Leider sehen wir immer die Schäden erst, wenn sie offensichtlich zu Tage treten.
Für einen Garten, der immer ein vom Menschen geschaffener Ort ist und keinesfalls auch nur in die Nähe der unberührten Natur kommt, stellen sich die Fragen etwas anders. Natürlich kann ich durch eine geeignete Pflanzung, durch Gestaltung und Elemente wie Teich, Trockenmauer, verrottetes Holz, bienen- und vogelfreundliche Sträucher und Pflanzen, Nistmöglichkeiten usw. einen kleinen Beitrag leisten. Auch kann ich durch Wildstauden die Anzahl der Insekten fördern. Wenn sie denn in einem Garten wachsen. Denn bei der Ansiedlung von Wildstauden stellt sich als erste Frage die nach dem Standort. Das klingt so einfach, wie :Wildstauden für den Halbschatten: Halbschatten, der in allen Publikationen als vier Stunden besonnt, beschrieben wird. Aber so einfach ist es nicht: Vormittagssonne, zarte Nachmittagssonne oder harte Mittagssonne? Dazu die Bodenbeschaffenheit, die Feuchtigkeit und die Wurzelkonkurrenz.
Glücklicherweise haben viele Wildstauden - wie man so schön sagt - eine breite Standortamplitude. All dies wird mich nicht daran hindern zu versuchen, mehr Wildstauden anzusiedeln. Um das zu tun, muss ich erst mal feststellen, welche Wildstauden bei mir wachsen. Deshalb habe ich eine neue Kategorie eingeführt und an Hand der Listen in Peter Steigers Buch -Heimische Wildstauden im Garten- meine Wildstauden zugeordnet.
Nach der sehr warmen ersten Januarhälfte, in dem die ersten Schneeglöckchen und Krokusse schon die Blüten streckten, gab es am 21. Januar einen nahezu magischen Moment: in der Nacht waren ca. 10cm Pulverschnee gefallen, der Garten war verzaubert.
Der Frühling lässt sich in diesem Jahr Zeit. Prinzipiell ist das aus gärtnerischer Sicht einfacher als wenn sich sehr warme Phasen mit Frostnächten abwechseln. Dieses Jahr ist an Ostern (8.4) gerade so der Vorfrühling eingekehrt, d.h. die Kastanie schlägt aus. Die Stauden treiben aber noch sehr verhalten. Wenn ich jäte, bekomme ich noch kalte Finger, die Erde ist noch nicht richtig warm. Geregnet hat es glücklicherweise im März genug, allerdings könnten wir noch viel mehr Regen gebrauchen um die Grundwasservorräte aufzufüllen.
Mein ursprünglicher Gemüsegarten, in dem jetzt mein gut funktionierendes Hochbeet steht, ist in seinen restlichen Bereichen eher ein Trauerspiel. Trotz Bergen von Kompost, Umgraben, Hacken usw. wächst kein Gemüse befriedigend. In den letzten zwei Jahren habe ich zugelassen, dass dort alles wächst, was sich ausgesät hat. Das sah zur Blüte schön aus, da eine Mischung aus Nachtviolen, Mutterkraut, Teucrium, Wiesenmargeriten, Fingerhut, Johanniskraut, Mohn, Borretsch, Muskatellersalbei und noch allerlei Wildem gewachsen ist. Nach dem letzten Sommer ist aber die Versamung von "ganz Wildem" so stark und dominant gewesen, dass ich mich entschlossen habe: ich muss es ändern. Den Teil gegenüber dem Hochbeet, der durch den Cornus mas etwas schattiger ist, habe ich unbearbeitet gelassen, die Gewürzkräuter zusammengepflanzt und ein Erdbeerbeet neu angelegt.
Bei der Gelegenheit habe ich einmal zusammengestellt, welche Gewürzkräuter so wachsen:
Wenn uns das Wetter nicht immer wieder überraschen würde, wären wir ärmer. Nach dem trockenen und sehr warmen Frühling im vorigen und vorvorigen Jahr ein anderes Bild: Kalt, nass und mindestens 14 Tage später als in den letzten Jahren: der vielbeschworene Klimawandel zeigt kein einheitliches Bild, sicher ist nur, dass es sich ändert. Zeigerpflanze für mich ist der Flieder: wegen eines familiären Gedenktages kann ich mich gut erinnern, ob der Flieder an diesem Tag Ende April blüht oder nicht. In diesem Jahr blüht er fast mindestens drei Wochen später! An den offenen Gärten im vorigen Jahr am 18. Mai waren die Rhododendron fast verblüht, in diesem Jahr am 21. Mai hoffen wir darauf, dass einige wenige Blüten geöffnet sein werden. Ganz abgesehen von den blühenden Rosen des vorigen Jahres, die in diesem Jahr gerade knospig sind. Kurz: es ist anders und die Besucher erwartet ein Blütenbild, das nicht unbedingt unattraktiver sein muss, eben anders.
Die Witterung der letzten Tage vor dem Öffnungssonntag hat die Rhododendron und die Margeriten ermuntert, ihre Blüten zu öffnen. So hatten wir auch in diesem Jahr einen blühenden Garten zu bieten. Einige Besucher waren von der Fülle der blauen Blüten beeindruckt, andere fragten nach der Mischung von "zahm und wild". Wir hatten viele Besucher, bei den meisten stand die Frage nach dem Pflegeaufwand im Vordergrund. Die meisten können nicht glauben, dass dieser gering ist und nehmen dann zur Kenntnis, dass die Bodenbedeckung der Schlüssel für den Pflegeaufwand ist. Natürlich habe ich jetzt ein paar Pflanzen, die besonderer Pflege bedürfen, aber das ist nicht der Schlüssel für die Schönheit des Gartens sondern nur der Gartenbegeisterung und der Freude am Experimentieren geschuldet.
Anfang Juni hatten wir ein heftiges, lokal begrenztes Gewitter mit leichtem Hagel, das uns 25 Liter Regen beschert hat. Das hat dazu geführt, dass ich in diesem Jahr bisher noch den Gemüsegarten und die besonderen Schätze wie Ligularia, Impatiens und Mukdenia gießen musste. Das Präriebeet hat noch keinen Tropfen Gießwasser gesehen und entwickelt sich gut. Am 21. Juni haben wir die Margeritenwiese zu Heu gemacht und jetzt kommt es besonders gut zur Geltung. Pauli bildet mit seiner unheimlichen Blütenfülle eine Wand zusammen mit dem dahinterstehenden, in diesem Jahr schön blühenden Jasmin und der Feliciteé et perpetué. Der ganze Garten duftet nach Moschus. Auch Lykkefund am Ahorn hat sich prächtig entwickelt, man spürt überall die Regenfälle des Winters, die Wasser in die tieferen Bodenschichten gebracht haben. Der Sommer-Rhododendron hat jetzt endlich nennenswerte Blüten. Die Holzbienen, die wir schon im frühen Frühjahr zu Besuch hatten, laben sich nicht nur am Muskatellersalbei, sondern der Hit ist Stachys recta, das sich ziemlich ausgebreitet hat.
Regen hat sich bis Ende Juli rar gemacht, aber die Temperaturen lagen nur an wenigen Tagen über 30 Grad. Eine Westwetterlage Ende Juli hat den ersehnten Regen gebracht, auch die Wiese ist inzwischen wieder grün. Das meiste Abgeblühte ist abgeschnitten um auf einen zweiten Flor zu hoffen. Das Präriebeet hat außer dem Regen keinen Tropfen Wasser benötigt und blüht. Es kann noch etwas dichter werden, aber der Ansatz scheint vielversprechend.
Bei mir kommt es immer wieder einmal vor, dass meine Ansicht, wo es einer Staude gefällt, nicht mit der Forderung der Staude übereinstimmt. Das trifft für den cyrtomium macrophyllum var. tukusicola (japanisch/chinesischer Sichelfarn) und auch auf Athyrium niponicum metallicum, den Regenbogenfarn ebenfalls aus Japan, zu. Am Anfang der Trockenperiode habe ich sie beide in Töpfe gepflanzt und dort sind sie wunderbar gewachsen. Da sie nicht in Töpfen bleiben können, sind sie an eine Stelle im Gehölzbeet umgezogen, wo vorher Geranium wuchsen. Das dort vorhandene Licht genügt ihnen hoffentlich. Außerdem wachsen sie dort am Beetrand, wo ich sie besser im Auge habe. Es ist an dieser Stelle eine schöne Kombination entstanden: Asarum, Impatiens omeiana aus dem Himalaya, zwei Sichelfarne, der Regenbogenfarn, daran anschließend die Cimicifuga racemosa und Brunette, die jetzt Blüten mit einem betäubenden Duft treiben. Sie alle brauchen mehr Pflege, sei es Wasser oder Vermeiden von Wurzeldruck, ein Problem, das ich wegen der dahinterstehenden Geranium Fläche noch lösen muss.
Das Thema, das ich in diesem Jahr gewählt habe, bedeutet, dass wilde Stauden sich aussäen. Das ist gewollt und findet mit Ansage statt. Wenn man Wildstauden pflanzt, ist man sich vielleicht nicht sofort im Klaren darüber, was es bedeutet: ich muss die Sämlinge erkennen. Das ist bei kleinen Sämlingen nicht einfach, da auch ungewollte Sämlinge überall herkommen und sich mit den Gewollten mischen. Teilweise sind die nicht Gewünschten invasiv und müssen entfernt werden, um für die Gewünschten Platz zu machen. Einige Sämlinge kann ich ganz gut erkennen, andere aber nicht. Da erwarte ich einen langen Lernprozess mit try and error.
So viel mehr hat es in diesem Jahr nicht geregnet, aber der Unterschied ist gewaltig: der Regen im August hat zum Durchtreiben der Stauden geführt und alles ist wie wild gewachsen. Das Steppenbeet, das keinen Tropfen Wasser außer Regen gesehen hat, ist üppig erblüht, die Herbstanmonen waren üppig wie selten und im großen Staudenbeet ist für Spätsommer und Herbst eine relativ stabile Staudengemeinschaft aus blühenden Waldastern, Bistorta amplexicaulis und weißen Astern mit ein paar Sedum telephium und den immer noch blühenden Austin Rosen Olivia und der prächtigen Staudenclematis herangewachsen. Auch das Staudenbeet an der Terrasse glänzte mit Caryopteris und Bistorta amplexicaulis Pink Elephant, den ich jetzt noch um weitere Pflanzen ergänzt habe. Das Jahr hat glücklicherweise viel mehr Regen gebracht als 2022. Wir hatten lt. Meteostat.net 816 mm Niederschlag und eine Durchschnittstemperatur von 10,7 Grad, also regional nicht die jemals gemessene durchschnittliche Höchsttemperatur, die in 2022 bei 10,9 Grad lag. Mein Garten, Rosarot